Kehrtwende oder Kentern: Marineschiffbau als Schlüsseltechnologie?

Warum hat die Bundesregierung im Februar 2020 den Überwasserschiffbau als Schlüsseltechnologie eingestuft? Wie beeinflusst dieser neue Status die deutsche Rüstungsindustrie und Sicherheitspolitik? Johannes Peters, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung „Maritime Strategie und Sicherheit“ am Kieler Institut für Sicherheitspolitik (ISPK), stand zu diesen Fragen im Rahmen eines gemeinsamen Online-Seminars der Hochschulgruppen aus Kiel, Bremen und Hamburg Rede und Antwort.

 

In einem gemeinsamen Online-Seminar der Hochschulgruppe für Sicherheits- und Außenpolitik Bremen, der Kieler Hochschulgruppe für Sicherheitspolitik und dem Hanseatischen Arbeitskreis für Sicherheitspolitik referierte Johannes Peters unter der Überschrift „Kehrtwende oder Kentern: Marineschiffbau als Schlüsseltechnologie“ zur Bedeutung der maritimen (Rüstungs-)Industrie in Deutschland.

 

Als zentralen Aspekt des Vortrags erörterte der Referent die Entscheidung der deutschen Bundesregierung, den Überwasserschiffbau als Schlüsseltechnologie einzustufen. In erster Konsequenz wird dadurch der Überwasserschiffbau für die Industrie als essentieller Teil der nationalen Sicherheitsinteressen definiert. Mit Blick auf das deutsche Vergaberecht bedeutet dies, dass nationalen Anbietern bei der Realisierung von Projekten für die deutsche Marine Vorrang eingeräumt wird. Folglich zählt Überwasserschiffbau fortan – neben weiteren Branchen der Rüstungsindustrie wie beispielsweise die elektronische Kampfführung – zu den nationalen Interessen der Bundesrepublik.

 

Laut des maritimen Koordinators der Bundesregierung liege dieser Entscheidung die zunehmende Fragmentierung der maritimen Industrie zugrunde. In Deutschland spielen drei Konzerne eine zentrale Rolle in der maritimen Rüstungsindustrie: Lürssen Defence, German Naval Yards und ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS). Vorausgegangene Rüstungsvorhaben zeigen die fragmentierte Vernetzung der verschiedenen Konzerne und ihrer Tochterfirmen.

 

Der Referent wies daraufhin, dass eine Fragmentierung der Branche die effiziente Beschaffung von Marineeinheiten erschwere. Als plakatives “Menetekel” hob Peters das selbstgefällige Agieren der deutschen Industrie vor dem Hintergrund der EU-weiten Ausschreibung für den Bau des Mehrzweckkampfschiffs 180 (MKS180) hervor, im Zuge derer – zur Überraschung deutscher Werften – der Auftrag letztlich an die niederländische Konkurrenz vergeben worden war. Auf dieses Ereignis habe die Branche mit intensiver Lobbyarbeit reagiert, um die Bundesregierung dazu zu bewegen, den Überwasserschiffbau als Schlüsseltechnologie zu benennen.

 

Vor diesem Hintergrund lasse sich prognostizieren, dass unter günstigen Bedingungen die Entscheidung der Bundesregierung dazu führe könne, Vergabeprozesse in Zukunft zügiger zu bewilligen sowie eine Etablierung solider logistische Strukturen möglich sei. Ebenso seien spezialisierte Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) wichtig, welche eine effizientere Wartung und Unterhaltung von Marineeinheiten ermöglichen. Diese Kostenoptimierung lasse sich durch Rahmenverträge mit Werften umsetzen.

 

In der gemeinsamen Diskussion mit den Teilnehmenden wurden unter anderem Themen und Fragen zum Ausbau europäischer Rüstungskapazitäten, zur italienisch-französischen Kooperation bei Rüstungsprojekten und der Kostensenkung in der Schiffbauindustrie erörtert.

 

Die Vorsitzenden der Hochschulgruppen Bremen, Kiel und Hamburg bedanken sich sehr herzlich bei allen ZuschauerInnen und insbesondere bei dem Referenten für den spannenden Vortrag und die lebendige Diskussion.

 

Bericht von Rafael Uribe Neira, Tristan Ibs, Melina Welker und Niklas Tietjen